Quantcast
Channel: MisanthropinWiderWillen
Viewing all articles
Browse latest Browse all 599

Vorstellungsgespräche - Das Gemütlichste

$
0
0
Ich betrete ein namhaftes Schraubenfabrikationsunternehmen in der Nachbarstadt.
Eine nette Frau meines Alters begrüßt mich und platziert mich im Konferenzraum mit der Bitte, kurz auszuharren, sie müsse erst den Chef suchen.
In der Zwischenzeit könne ich mir ja ein Getränk nehmen und von den selbstgebackenen Keksen probieren.

An den Wänden hängen viele Fotos.
Der Chef, der offenbar einen Hang zu farbenfrohen Anzügen hat, ist zu sehen mit:
Bill Clinton (aubergine), Kofi Annan (hellblau), Bob Geldof (smaragd), Richard von Weizsäcker (ocker), Nelson Mandela (marine),Tony Blair (apricot), Gerhard Schröder (bordeaux) und so weiter.
Ui!

Vor Ehrfurcht schnappatmig geworden, verschlucke ich mich prompt an einem der sehr trockenen Kekse. Der Husten wird während des folgenden Gesprächs leider nicht aufhören, obwohl ich 2 Gläser Wasser und 1 Apfelschorle nachkippe (ja, vor den Augen des Chefs).

Die Sekretärin kommt.
Ich, mittlerweile heißschweißig und mit hochrotem Kopf, kläre sie großgestisch über meine Luftröhrenmalessen auf.
Sie nickt mitfühlend.

Auftritt Chef:
Ein fazial unschöner, aber sehr schnieke gekleideter Mittfuffziger tänzelt herein.
Einreiher mit Weste, Einstecktuch, Krawattennadel, Budapester, Gürtel, Uhr -
alles harmoniert perfekt; der ganze Mann ein Traum in nachtblö.
Büschn overdressed für den sauerländer Mittelstand, aber hübsch anzusehen.

Er schüttelt mir schlapp die Fingerspitzen.
Ich begrüße ihn heiser.
"Frau Juliane hat sich gerade verschluckt", klärt die Sekretärin auf."Deshalb kann sie jetzt nicht so viel reden."
"Ach", sagt der Chef und mustert mich leicht angeekelt.
Loriot at its best.

Mein Röcheln bringt den Chef offenbar derart aus der Fassung, dass er sich nach ein paar kurzen Fragen entnervt verabschiedet ("Wichtiger Termin!").
Ich bin sicher, dass er seiner Mitarbeiterin unbemerkt TOP oder FLOP signalisiert hat.




Nachdem die Sekretärin und ich Petitessen wie Aufgabenbereich, Einstellungsdatum und Gehalt erörtert haben, gehen wir zum gemütlichen Teil über.
Das heißt: sie geht über, ich staune.

Sie bietet mir Kaffee an.
Ich hatte eigentlich angenommen, dass das Gespräch beendet sei, aber offenbar will die Gute mich näher kennenlernen, weil ich demnächst ihre Kollegin sein werde.
Wir sitzen da also bei Kaffee und Keksen und plaudern ein bisschen über's Wetter, über das Keksrezept und über ihre grade überstandene Grippe und dann fragt sie nach dem Alter meiner Kinder, die dumme Nuss. Das hat ja noch keiner gewagt!
Was korrekt hätte heißen müssen: "20 Monate und 18 Jahre", mache ich schlankerhand zu "20 und 18".
Sie freut sich, ihre Kinder sind im selben Alter. Schon erwachsen, aber doch noch regelmäßig für Aufregung sorgend, haha.
Kaffee nachschenkend erzählt sie mir den neuesten Klops, den ihr Großer sich am Wochenende mit dem Auto seines Vaters geleistet hat. Sogar die Polizei war verwickelt, weil die Schwester dachte, der Wagen sei geklaut, was wiederum den Vater annehmen ließ, die Tochter sei entführt. Fragt nicht.
Screwball at its best.

Ich gebe auch noch ein paar Elvis-Storys zum Besten und dann erzählt sie, dass dringend ein Nachfolger für die Firma gesucht wird, da der overdressede Mittfuffziger weder Frau noch Kinder hat und der letzte in der Schraubenfabrikationsdynastie ist.
Tja, bei dem Alter, dem Aussehen und dem tuntigen Gehabe wird das mit der Zeugung eigener Nachfolger aber sehr knapp.

Nun ja...
Tjaja...
Jaaa....

Das Geplauder stockt und ich beschließe, dass es Zeit ist zu gehen.
Meine neue Freundin guckt bedauernd.
Will die sich vor ihrer Arbeit drücken oder was?

Ich bin sicher, wer so nett mit mir plaudert, stellt mich auch ein, ne?

Nee.
1 Woche später bekomme ich die Absage.
4 Wochen später erfahre ich, dass die Stelle mit einem Mann besetzt wurde.
Ach.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 599


<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>