Quantcast
Channel: MisanthropinWiderWillen
Viewing all articles
Browse latest Browse all 599

Leichenwetter

$
0
0
In meiner Familie wird am liebsten im November gestorben.
Das Wetter lädt ja quasi dazu ein: kalt, regnerisch, trübe.‎
Wer hat da noch groß Bock auf irgendwas?

Und prompt rief mich heute Morgen unser Oppa an:
"Du wirst lachen," prophezeite er, "heute hat doch Tante Gundis Geburtstag. Und stell' Dir vor: beim Anblick ihres Gabentisches ist sie tot umgefallen."
Hääää? Wie jetzt? Tante Gundis ist tot?!
Meine Güte, an DEM Opener muss er aber noch dringend arbeiten, dachte ich und hoffte, dass ich die Erste bin, die er mit dieser Hiobsbotschaft schockt.
Nun, gelacht habe ich nicht, aber unser Oppa und ich haben dann zusammen ein bisschen geweint.

Tante Gundis war meine Paten- & gleichzeitig Lieblingstante.
Kein Wunder, sie unterschied sich doch sehr von den anderen zig Tanten, die ich habe.
Während die den typischen sauerländer Tätigkeiten wie Kirchgang, Einkochen und Mangeln fröhnten und dabei dem eher plumpen Kittelschürzen-Typus mit Wasserwellenlöckchen angehören bzw.
-hörten, war Gundis ganz anders.

Es gibt Verwandte, die man ganz besonders gern hat, weil sie einem zum Geburtstag und Weihnachten immer kreischbunten, garantiert pädagogisch wertlosen Plastikschrott, den man als Kind so liebt, schenken. Dazu gehörte Gundis.

Gundis war die Tante,
  • die, verlobt mit einem Jazzmusiker, 3 Wochen vor der Hochzeit mit einem dahergelaufenen ..äh.. fahrenen Rennfahrer durchbrannte. Das verzieh man dem Rennfahrer nie, diesem windigen Hallodri und man gab den beiden höchstens ein paar Wochen. Niemand hätte geahnt, dass dieser Hallodri 44 Jahre später verzweifelt versuchen sollte, sie wiederzubeleben. Sie hielt immer zu ihm, selbst als er mit seinem ungesundem Hang für Rennwagen und teure Autos 2 Firmen in den Sand setzte.
  • die sich zeitlebens geweigert hatte, einen Führerschein zu machen, obwohl in der hauseigenen Scuderia 6 Wagen standen
  • mit der es nie langweilig wurde, weil sie immer lässig, witzig und schlagfertig war
  • die die Rolle der Grande Dame ebenso beherrschte wie das rotzfreche Biest, je nachdem, was gerade vonnöten war
  • die Humphrey Bogart liebte und die meisten seiner Filme mitsprechen konnte
  • die ein Originalautogramm von Elvis (also Presley) auf ihrem Buffet stehen hatte und zu jedem seiner Geburtstage eine schwarze Baccararose dazu stellte
  • die ein Faible für die schönen Künste wie Oper, Ballett und Literatur hatte
  • die Burberry kontogefährdend toll fand (ich hoffe sehr, dass ich davon was erbe!)
  • die gerne auf Reisen ging und uns Kindern nicht nur tolle Souvenirs mitbrachte, sondern auch die abenteuerlichsten Geschichten, von denen sie, so im Rückblick betrachtet, wohl einige etwas zu fantasievoll ausgeschmückt hatte
  • die so manchen Kerl unter den Tisch saufen konnte
  • die mir mal aus der Patsche geholfen hatte, in dem sie sich als meine Mutter ausgab, als meine Lehrer dringend meine Eltern zu sprechen wünschten, da meine Akte mehr Fehl- als Anwesenheitsstunden aufwies
  • die mir von frühester Jugend an Schönheitstipps predigte: "Gesichtcrèmes immer eintupfen, niemals einreiben! Knie und Ellbogen 2x am Tag eincremen! Kein Tag ohne BH!"
  • deren ewiges "Glowing Copper" von L'Oreal in den nächsten Tagen unter dem fiesen Neonlicht auf dem Seziertisch der Pathologie ein letztes Mal leuchten wird.

"So stieselig, wie der alte Trottel (aka der Rennfahrer) ist, wird der garantiert verhungern", unterbricht unser Oppa meine Gedanken. "Kannst Du ihm was zu essen bringen?"
Ich verspreche es ihm.

Geburtstag = Todestag - das nenne ich mal ein denkwürdiges Timing.

Tu mir einen Gefallen, Gundis und Ruhe in Frieden, ruhe bittebitte in Frieden.

Und auch für Dich werde ich zu Wemauchimmer beten, dass es kein Leben nach dem Tod geben möge. Versprochen.


Tschüß.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 599


<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>